Liebe

Empfindlich

„Ich bin zu empfindlich für dich, du bist halt einfach so…kalt und emotionslos“

Wie wenig er von mir tatsächlich verstand.
Wie wenig ich von mir preisgegeben hatte.

Mit 28 fing ich ENDLICH an zu lernen meine Emotionen anzunehmen, zu spüren, aber mich nicht vom denen kontrollieren zu lassen. Ich fing an meine Gefühle anzuerkennen, mein Inneres Kind in all ihrem Schmerz anzunehmen. Und darüber zu reden. Endlich habe ich gelernt, die Ruhe zu bewahren, auch wenn mir das immernoch nicht immer gelingt.

Nein Schätzchen, ich bin nicht unempfindlich. Im Gegenteil, ich habe gelernt als Kind mich zu schützen. Muster, die als Erwachsene vielleicht übertrieben sind.

Das Kind bin ich nicht mehr

Die Kindheit, die verlorene Kindheit nach der ich mich oft so sehr sehne, wird nicht zurückkehren. Die Geborgenheit die ich damals verneint bekommen hab, sind nun Narben. Und die Mutter, die mir mal diese Geborgenheit hätte schenken können, nun tot.

Ich liebe meine Eltern. Und die liebten mich. Ich war sogar deren ganzen Stolz. Laut riefen sie über die Dächer als ihr kleines Sternchen geboren wurde. Sie gaben mir alles was sie nicht bekamen. Und erfüllten ihre Pflichten so gut sie es konnten. Auch sie trugen Narben und hatten Themen zu lösen.

Bis heute weiss ich nicht, ob ich gewollt, oder ein „Unfall“ war. Ich weiss nur, dass Mama schwanger mit mir geheiratet hatte. Ich vermute, dass Mama ihren damaligen deutschen Freund für Papa verlassen hatte. Und die beiden sich auch sehr geliebt hatten und durch dick und dünn gemeinsam wanderten. Frust war jedoch bei den vielen Abenteuer auch dabei. Normal.

„Du warst so ein wunderbares Mädchen, so unglaublich artig und ruhig. Selbst die Ärzte fürchteten, du wärst taub, weil du so ruhig warst. Aber In Wirklichkeit warst du zu intelligent für die, du hattest dich gelangweilt“. Einst mal Worte die ich mit vollem Stolz hörte. Immernoch teile ich die Freude meiner Eltern daran, auch wenn ich die Schattenseite nun erkenne.

Ich soll speziell sein, klug, ein Licht. Und in dieser Wertschätzung wuchs in mir der Druck diese Vorstellung gerecht zu werden. Denn an deren Liebe war ich angewiesen. Es ging um mein Überleben.

Das artige Mädchen war in Wirklichkeit ein unterdrücktes Mädchen.  Ein Mädchen das vielleicht versucht hat so wenig Lärm und Probleme zu verursachen, um es (was?) den Eltern einfacher zu machen.

Um keine Störung zu sein. Keine Last zu sein.

Doch ich wuchs und in mir wuchs zeitgleich eine grosse Frustration, die ich nur in mehreren sehr qualvollen und bosartigen Weisen loswerden konnte. Vielleicht erzähl ich irgendwann darüber.

Als 3-4 Jährige zupfte ich im Bett vorm einschlafen an meine Wimpern. Die frühste Erinnerung von Verlassenwerden hab ich auch in der Zeit. Ich greifte angsterfüllt an der Scheibe der Eingangstür. Mein Hund war draussen, selbst er konnte mich nicht umarmen. An der Scheibe lief ein Gecko. Ich schrie nach meinen Eltern, doch die waren fort. Ich weiss nicht mehr, wie es war als sie zurück kamen. Ich weiss nur, es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Sie waren nur spazieren, angeblich nur 5 Minuten.

Ich war auch oft die letzte die vom Kindergarten abgeholt wurde, Mama hatte wohl ein langes Meeting. Einmal versuchte ich aus Frust mein eigenes Ohr zu piercen. Dafür gab es nach dem Kindergarten oft Zuckerwatte, blau und grün waren meine Lieblingsfarben. Rosa lehnte ich ab, nicht speziell genug.

Meine Freizeit verbrachte ich mit Malen. Ein Monster, das war mein Lieblingsmotiv aus einem Buch „Sydney le Monstre“. Ununterbrochen hörte ich dieselben Kassetten von Bibi Blocksberg und Mary Poppins wieder und wieder.

Ich zupfte nachts weiter an meinen Augenwimpern.

Mit 5-6 Jahren wurde ich im Supermarkt vergessen, zu lange stand ich vor den Radieschen und überlegte mir ob sie mir gefallen. Ich heulte als ich merkte das ich alleine war, dann lief ich verzweifelt aber selbstständig zur Kasse und flehte darum, meine Eltern zu rufen. Es kam mir wieder vor wie eine Ewigkeit. Ob meine Eltern erst fertig einkauften?

Ich wurde, als ich unartig war, verprügelt. Das war damals so. Als meine Mama mich nicht aushielt, „verpetzte“ sie mich an meinem Vater, der mich dann schlug. Ich schrie um mein Leben, aus Angst, ich flehte meiner Mama mich nicht auszuliefern, doch sie schaute dann machtlos zu, wie Papa mich wegschleppte. Ihre grossen Augen feucht vor Emotion und Mitgefühl. Sie hatte mich verraten. Als ich alleine im Zimmer heulte, kam öfters mein Vater nach mehreren Stunden zu mir und umarmte mich.

Wie kann man jmdn Lieben und den so ein Schmerz zuführen?

Ich hatte Wahnvorstellungen, meine bösen Gewohnheiten verschlimmerten sich. Ich fantasierte oft Nachts in die Küche zu laufen, ein Messer zu holen und meine Eltern im Schlaf zu erstechen. Zugleich erschrak ich vom Gedanken, meine Eltern wollte ich niemals weh tun. Ich liebe sie und wie soll ich ohne sie klarkommen?

Manchmal verließen mich meine Eltern im grossen Haus für ihre Geschäftsreisen. Da war ich um die 10. Ich musste ja weiter zur Schule. Mag sein, dass es nur ein paar Wochen waren, mir kam es vor wie Monate. Eine Nanny war da um auf mich aufzupassen, sie zwang ich oft mit mir zu spielen. Dennoch war nachts die schlimmste Zeit, sie ging ins Bett. Und ich durfte die Treppen alleine ins Zimmer hoch laufen, die Lichter ausmachen, und ins Bett meiner Eltern einkuscheln. Ich heulte mich in den Schlaf, angsterfüllt, dass die sterben sollten. Flugabsturz oder so. Ich kann mich nicht erinnern, ob sie mich überhaupt oder oft anriefen. Falls schon, kann ich mich nicht erinnern, dass ich Ihnen was gesagt habe. „Mir ginge es gut“ wäre vermutlich meine Antwort gewesen. Und meine Eltern wahrscheinlich erleichtert und dankbar, so ein artiges und pflegeleichtes Kind zu haben.

Am Esstisch sprach Mama nur über die Arbeit, Papa schwieg. Ich war unsichtbar. Meine Welt, unwichtig. Über Emotionen wurde sowieso nicht geredet. Ich verstand auch kein Wort über Mamas Arbeit.  Oft, als wir unterwegs waren, liefen meine Eltern gemeinsam vor mir, Hand in Hand. Und ich rannte hinterher. Mit 5 durfte ich noch in die Mitte, irgendwann änderte es sich.

Mit Freunden durfte ich mich nur bedingt treffen. Doch das wurde mit der Zeit nur noch strenger. Romanzen verboten.

Stets wurde ich mit anderen verglichen: „Ja schau mal wie gut die Tochter von XY das macht. Wirklich wunderbares Mädchen!“. Ich fühlte mich angegriffen. Konkurrenz. Bedrohung. Ersetzbar.

Dann wurde Papa zum besten Freund. Und ich zu seiner Tochter mit der er Spass haben konnte, spielen und toben. Denn Mama war zu beschäftigt mit dem Geldverdienen. Als ich zur jungen Frau mutierte, war es komisch. Nein, mein Vater hatte und hätte mich niemals angefasst. Komisch war es trotzdem. Ich hörte auf zu spielen.

Eins habe ich geschafft, aus Disziplin alleine, eine schlechte Gewohnheit abzulegen.

Die beste Zeit war als ich krank war. Da war ich immer Prinzessin und wichtig. Geliebt.

Als meine Eltern streiteten, lief ich Angsterfüllt zu beiden mit einer Karte, in der ich versprach das artigste Mädchen auf Erden zu sein, mit der Bitte sie bleiben zusammen.

Eine beste Freundin hatte ich. Meine Säule. Doch, als ich mit 13 zum 3. Mal Land wechselte und wir anfangs täglich seitenlange Emails schrieben, war sie plötzlich von einem Tag zum nächsten verschwunden. Was hab ich falsch gemacht? Hab ich nie erfahren. Sie entschied sich um ein (besseres?) Leben ohne meine E-Mails. So viel zu Freundschaft.

Während ich ihr Verlust trauerte, wurden die Probleme zuhause schlimmer. Einst packte mich Mama wuterfüllt an den Haaren und schleifte mich durch den Boden.

Dann wurde ich mit 14 Rebell. Fast flog ich von der Schule. Dann rannte ich weg, meine Eltern schickten die Polizei. Ich hatte viele und gute (wie auch schlechte) Freunde. Ich wollte nur mit denen auch mal feiern gehen. Schlimm empfand ich wie sie am nächsten Tag begeistert über die Party erzählten. Die Party die ich verpasst hatte. Ich fühlte mich gefangen, wie ein Vogel im Käfig. Ich erinnere mich wie oft ich auf das Dach des wunderschönen Hauses kletterte und einfach heulte. Unter anderem mit grosse Angst alles zu verpassen, ein Loser zu werden, Freunde zu verlieren.

Suizidversuche. Esssucht.

„Du schaust so hässlich aus“ sagte Papa einst als er sah, dass ich Eyeliner trug.

Ich erinnere mich noch daran, wie ich im Bus verzweifelt heulte, weil ich ununterbrochen an Essen denken musste. Ich war erschöpft.

Meine übrigen Gewohnheiten wurden schlimmer. Ich blieb weiterhin eine der besten Schüler. Schau mal Eltern, wie toll ich bin!

„Wir sind sehr stolz auf dich“ kam die Bestätigung.

Nun Abitur, das ich nur bedingt feiern konnte. Meine Eltern beobachteten jeden Schritt, ich machte Schluss mit meiner damaligen großen Liebe, weil alles so peinlich war, und weil es so schwierig mit mir war. Ich sabotierte die Beziehung und trauerte Jahre weiter.

Meine Eltern reisten weiter… Arbeit. Und ich durfte mit 19 allein mit meinen 5 Koffern nach Deutschland reisen und mich für ein Studium bemühen. Deutschland, damals ein fremdes Land für mich, obwohl wir jedes Jahr beruflich zwei Wochen hier verbrachten. Da rannten aber meine Eltern rum um Sachen zu erledigen während ich im Haus blieb und zum Zeitvertreib Starwars schaute. Jeden Tag. Alle drei Filme. Manchmal war es auch Indiana Jones.

Auch jetzt könnte ich am Esstisch weinen, peinliches Schweigen, alle würden so tun als wäre nichts los.

Erwachsen sein

Ich hatte eine wundervolle Kindheit. Es gab wirklich viele sehr wunderschöne Momente. Meine Eltern waren meine Heros und große Vorbilder. Sie habe ich über alles Idealisiert, ihre Werte trage ich auch mit Stolz weiter. Sie waren auch alles was ich hatte, meine starke Familie, egal in welchem Land. Es waren stets wir drei. Und ich habe viele viele viele wunderschöne herzwärmende Momente, die ich nie aufgeben würde. Wahre Schätze mit denen ich mehrere Bücher füllen könnte (dagegen betragen die schwierigen Momenten nur ein paar Seiten)

Doch das war nur eine Seite der Medaille, die schöne Seite. Und es offenbart sich immer neu etwas von der unschönen Seite. Dabei bleibe ich lieber im Märchen. Das Konstrukt, die Story, droht zu kollabieren. Der Boden ist kurz weg.

Die Wahrheit ist, ich war und bin ein sehr empfindliches Wesen. So empfindlich, dass ich schon sehr früh lernen musste mich zu verteidigen. Vielleicht war auch mein Wassermann Zeichen mein Segen.  Denn sonst blieb mir nur der Tod als Ausgang von diesem Schmerz übrig. Und meine Liebe zu meinen Eltern war zu groß, ich wollte sie nicht enttäuschen. Mit 18 wäre ich frei. Hah! Von wegen!! Da fing meine Reise erst an…

Es hat sich seitdem viel geändert. Und es geht mir und uns gut, wir haben eine sehr gute Beziehung zu einander. Und ich hab sehr viel geheilt.

Für diejenigen die gerade aus Interesse eine Psychoanalyse zu meiner Person anhand der Zeilen machen, gerne beantworte ich bei Fragen Näheres. Meine wichtigsten Themen habe ich schon mit und ohne Hilfe ausgearbeitet und wir können alle beruhigt sein, die Muster und die Traumatas habe ich zum Großteil durchbrochen.

Ja, es kommen hin und wieder wieder Tränen, wenn ich an den Schmerz der kleinen verängstigten Estrella denke, den spüre. Ein Kind, das nur gehalten werden wollte. Ein Kind, das nie verlassen werden wollte. Wünsche, die vielleicht keine Person in der Intensität hätte erfüllen können.

Die Kindheit bekomme ich nie zurück. Halten muss ich mich nun selbst. Eine Heimat noch zu finden, das ist meine Hoffnung. Und die Herausforderung, den gespeicherten Schmerz von damals in heute ähnlich „bedrohlich“ empfundene Momente zu lösen. Das braucht Übung.

Es ist die pure Liebe, die mir die Kraft dazu gegeben hat. Die pure Selbstliebe und die Liebe zum Leben, weshalb ich noch hier stehe. Zu mir stehe. Nein, ich gebe nie auf.

Wir alle gehen durch Krisen, und keiner ist schlimmer als der andere. Alle sind schlimm. Vor allem wenn wir alleine stehen.

„Some children seem to experience trauma and metabolize it without moving it into long-term storage in the body as background alarm. This has to do with the severity and frequency of trauma and with the presence (or absence) of adults to help them process it but also with the child’s own disposition—sensitive or less sensitive. This is one of the reasons we shouldn’t compare our trauma to others’ and assume because we had it “easier” we should be less affected. Your feelings are real and valid.“ Russel Kennedy

Manche Kinder scheinen ein Trauma zu erleben und es zu verstoffwechseln, ohne es als Hintergrundalarm langfristig im Körper zu speichern. Dies hat mit der Schwere und Häufigkeit des Traumas und mit der Anwesenheit (oder Abwesenheit) von Erwachsenen zu tun, die ihnen helfen, es zu verarbeiten, aber auch mit der eigenen Veranlagung des Kindes – sensibel oder weniger sensibel. Dies ist einer der Gründe, warum wir unser Trauma nicht mit dem anderer vergleichen und davon ausgehen sollten, dass wir weniger betroffen sein sollten, weil wir es „einfacher“ hatten. Ihre Gefühle sind echt und gültig.

Also verurteile nie jemandem, weil die zu kalt oder zu warm sind. Du weißt nicht, was sie erlebt haben. Sei dankbar, dass sie es bisher geschafft haben. Sei dankbar, dass sie vielleicht sogar lächeln. Und hoffe einfach, dass auch sie ihren Weg finden, sich entwickeln und Glück erfahren.

Estrella Piechulek

Liebe, Wahrheit und Weisheit

Es geht vorrangig um dich, deinen Gang und deinen Weg, nicht um das Endziel. Es sind die Schritte und Momente dazwischen, die wirklich zählen. Verliebt im Leben! Millionenfach wurde mein Herz gebrochen, meine Liebe ist umso mehr gewachsen. Ich freue mich, euch in eurem Weg zu inspirieren.

Estrella Piechulek

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