Allgemein, Liebe

Familie Retten

„Pain travels through families until someone is ready to feel it.“ Stephi Wagner, Mother Wound Project

Oh Mann, und ich dachte ich hätte schon alle Familienthemen bearbeitet. Meine Mutter wurde schließlich wieder nach 30 Jahren zu meiner besten Freundin, dann verstarb sie. Mit meinem Vater kann ich in vollster Harmonie im selben Haus wohnen und leben. Doch die Wunde ging tiefer, sie war sozusagen eine generationsübergreifende Äußerung vieler Bewältigungsmechanismen die vermutlicher aus damals schwierigen und unsicheren Zeiten entsprungen sind.

Es ist nicht das erste Mal, dass mir die Themen „Kontrolle“ und „Helferkomplex“ begegneten (siehe hierzu den Artikel Toxische Hilfe). Es sind wohl Themen, die ich auf mehrere Ebenen weiter üben darf. *seufz*

Für meine Unabhängigkeit werde ich gefeiert, ich gehe meinen eigenen Weg. Nach einer langen Spaltung kehrte ich zurück und Familie wurde wieder zum ein und alles. Sie ist stets da für mich und ich auch für sie. Meine treue Blutslinie. Sie kann mich nicht verlassen. Doch hier kristallisierte sich eine Abhängigkeit, die ich lernen musste auf tieferer Ebene loszulassen. Schmerz vorprogrammiert!

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Kurze Schilderung: Seit Mama verstorben ist, übernahm ich die Rolle eines „Caretakers“ wieder ein. Diese übernahm ich zeitweise auch als Kind für mich und meine Eltern. Ich rief Papa jeden Tag an, besuchte ihn 700km entfernt fast jedes Wochenende. Ich sorgte (mich) um sein Wohl. Mit dem Versterben meiner Mutter ist meine größte Angst seitdem ich denken kann, wahrgeworden. So bald möchte ich das nicht wieder erleben. Zudem fliege ich jedes Jahr zur Familie (vaterseits) nach Peru. Ich strenge mich sehr an damit ich länger bleiben kann, als Kind blieb mir die Zeit hier stets zu kurz. Zum Jahresende brachte ich begeistert viele Ritualideen für die Kinder mit und belebte peu a peu die Weihnachtsmagie. Doch nicht nur das, sondern auch den Familiengeist! Sonntags etablierte ich eine Tradition, die ganze Familie wurde eingeladen: es wird gegessen, Volley/Federball/etc. gespielt, geschwommen,  alles was das Herz möchte. Und alle machten mit! Leid schlief sie bei meiner Abwesenheit bisher immer ein. Zugegeben, an all dem hing viel Eigenstolz dran…und Verantwortung.

Mama scheiterte im Versuch in Deutschland die Familie auf diese Weise zusammen zu bringen. Auch in Peru hielt sie sich oft zurück, schwärmte jedoch oft von der empfundenen Liebe hier. Sie sehnte sich nach dieser Verbindung auch in ihrer Familie und war traurig, dass es nicht so war. Die Familie in Peru schien perfekt, und die Familie in Deutschland kalt, rücksichtlos und selbstsüchtig. Ich empfing das zum Großteil auch so. Während mein peruanischer Onkel 20 Stunden Auto fährt um mich vom Flughafen abzuholen, wollte mein deutscher Onkel aus Hannover keine 3 Stunden fahren um mich um ein festgefahrenen Zug zu retten. Okay, zugegeben das sind extreme Beispiele, aber ihr versteht was ich meine. Meine Lieblingscousine ist seitens meiner Mutter 😉

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Dieses Jahr ging mir der Schleier ab: die Familie in Peru war weit von perfekt. Und die Familie in Deutschland in ihrer verkorksten Art wunderbar. Ich hab den Segen beide Kulturen zu erfahren, zu erleben, zu lieben und geliebt zu werden. Als ich das erkannte, litt ich an schlaflose Nächte und hab viel geheult. Geheult, weil mein idealisiertes Bild doch „kaputt“ war. Dass ich mich doch hier noch sehr gefangen fühlte. Dass ich so viel gab und gab und gab und dennoch viel Ablehnung erfuhr. Dass sie mir doch „betrügen“ könnte.

Es war Zeit mich davon zu befreien. Für mich.

Und die Heilung fing an.

Sie loszulassen war ihre beste Chance sich selbst zu finden

Nun war die Situation folgendes: obwohl ich viel tat damit der Familien Spirit lebte, erlebte ich auch viel Ablehnung in diversen Formen. Das klingt banal, aber stellen Sie sich vor: sie fragen ständig ob Person A die Aktivität B mit dir machen möchte…Person A lächelt begeistert und sagt, ja! er/sie gäbe Bescheid. Doch dieser „Bescheid“ kommt einfach nicht. Und du hattest dich so sehr gefreut. Auch kommt keine Alternative. Und das ständig! Es ist wie ein schlechtes Tinderdate. Dazu kam die Realisierung, dass Person C auch schlimmes über dich gemeint vorhersagen zu können. Mysteriöserweise manifestiert sich oft vieles was sie sagt, weshalb dies auch meine Sorge umso mehr erhöhte. Der Höhepunkt kam, als im Trudel der Emotionen und meiner Frust, viel fehlinterpretiert wurde und eine Art „stiller Krieg“ zwischen meiner Tante, meiner Nichte und mich etablierte. Keiner sprach zum anderen (die Männer blieben zum Glück verschont und neutral). Meine Tante schien ihre Unsicherheit mit noch mehr Lachen und mehr Sprechen beim Esstisch zu kompensieren. Keiner wagte den ersten Schritt.

Während andere lieber wegdrehen würden und diesen Krieg von alleine verpuffen lassen, lässt meine streitlustige und konfrontative Natur dies nicht zu. Es kränkt mich zu verschweigen und zu unterdrücken. Zugegeben, manchmal provoziere ich unnötig Streit, andere Male bin ich sehr dankbar dass ich Problemen dadurch mutiger angehen kann. Das ist mein Weg, zu lernen wie der Ausdruck friedvoll gelingen kann. Also brodelte ich innerlich, überlegte lange was und wie ich mich äußern möchte. Der Höhepunkt kam, als meine Tante den Sonntag durch einen scheinbar unschuldigen Akt (ich vermute mit Absicht) versucht hat zu boykottieren. Das ging mir zu weit. Das war persönlich. Du und Ich.

Das ist nicht irgendein Sonntag-Gettogether. Es ist eine wunderbare Möglichkeit die Familie zu schweißen, zu verbinden und auch innerlich abzuschalten. Drei Jahre lang machen wir das wenn ich zu Besuch bin. Es kommen Onkels, Tanten, Cousins und Cousinen, Nichten und Neffen zu unserem Haus und wir verbringen gemeinsame Zeit und unternehmen gemeinsame Aktivitäten. Die Volleyballspiele haben manche Freunde von mir miterlebt und waren begeistert. Von 8 bis 68 Jahren, da war jeder dabei! Sonntag war ein Tag, wo Sorgen und Politik nicht existierten. Es ging um Lachen, ums Spielen, ums Entspannen, ums Essen und ums Geschichtenerzählen. Und vielleicht, just vielleicht, für die viele verwundeten unter uns, die Möglichkeit uns vor unseren Verletzungen und Traumas im sicheren und verlässlichen Rahmen des Sonntags zu schonen. Sich energetisch im Freien aufzuladen. High vibes tun gut.

Zurück zu mir

Es gab eine Zeit, wo die Kinder sogar ihre eigenen Eltern „sietzten“. Das war vor allem in der Generation meines Vaters so. Respekt vor den Älteren, das war und bleibt sehr wichtig. Viele diese Werte teile ich auch, allerdings nicht im Umfang wie damals. Respekt vor Älteren, ja. Respekt auch vor Allen. Respekt bedeutet jedoch nicht unbedingt schweigen. Ich wollte nicht mehr schweigen, es gab zu viel was raus musste.

Zwei Wochen lang stellte ich mir im imaginären Gespräch alles vor, was ich sagen wollte. Wieder und wieder übte ich die Szene im Kopf. Mal wurde ich hysterisch und laut. Andere Male leise und kontrolliert. Auch die Themenschwerpunkte verschiebten sich. Zwei Wochen bis ich endlich wusste was ich sagen wollte (und musste) – und glaubt mir…ich bin bekannt für meine Impulsivität und Ungeduld. Es fiel mir nicht leicht.

Der Kipppunkt kam, wie gesagt, beim Boykottversuch des Sonntags. Ich hatte meinem Vater schon länger über meine Wahrnehmung und Intention eingeweiht. Obwohl er solches Verhalten von seiner Schwester nicht vorstellen konnte, unterstützte er mein Motiv mit denen zu sprechen. Er sah kein Problem mit Sonntag „ohne Tradition“, ich ging ins Zimmer, heulte meine Wut aus. Irgendwann ließ ich los. Irgendwann realisierte ich , es sei nicht meins zu retten. Ich dachte an meiner Mutter und ihre gescheiterten Versuche.

„Die Sonntage sollen von allen getragen werden. Wenn keiner das schätzt, dann soll es wohl so sein. Ich gehe meinen Weg.“ Und am Sonntagnachmittag passierte etwas unerwartetes, untypisches, fast magisches. Nach dem gewohnten Mittagstisch sagte mein Vater „was hält ihr davon, wenn wir in zwanzig Minuten zu uns gehen und den Rest des Sonntags dort (Tradition) verbringen?“. Alles waren begeistert (meine Tante „versteckte“ sich in der Küche). Ich konnte heulen vor Glück. Also spazierten wir dahin, bauten das Volleyballfeld auf und es wurde gelacht, gespielt, gelebt.

Als meine Stunden später nachkam, fühlte ich für sie mit. Ich spürte ihre Verwundbarkeit und Enttäuschung. Wie schrecklich es sich anfühlen muss, Boykottversuch überstimmt. Als wäre die Welt gegen dich.

Ein paar Tage später brach ich mein Schweigen. Ich sprach mit meinen beiden Tanten, meine Nichte und mein Neffe in der Küche. Sagte das, was ich nach zwei Wochen für richtig und wichtig hielt. Die wichtigste Botschaft war: ich sei hier weil ich die Familie liebe. Ich käme nicht zum Surfen denn das könne ich auch in Europa sehr gut. Ich käme wegen sie. Also wenn sie was unternehmen wollen, sollen sie es mir sagen. Und wenn ich für mich was unternehme, verstehet, dass es meine Natur sei. Ich liebe es draußen zu sein, und war schon immer aktiv. Also nehmet es nicht persönlich, ich lebe bloß mein Leben und ich freue mich, wenn wir gemeinsame Momente teilen. (oh mann, Mama wäre stolz auf den angewandten Konjunktiv1)

Abschied nehmen

Ein tiefsitzender Glaubenssatz ist mir von ihren Schattenseiten bewusst geworden: „Familie ist alles“. Ich bin sehr stolz auf meine Familie, wie wir füreinander da sind und zusammenhalten und ich liebe sie vom ganzem Herzen.
Das ist alles schön und gut. Das darf auch alles sein. Ich fühle mich sehr gesegnet für BEIDE Familien, die ich habe. ABER…

Familie ist alles

Familie ist nicht alles. Familie kann vieles sein. Für mich ist sie sehr wichtig, sie ist Teil von mir, sie ist jedoch nicht alles. Sie ist vieles.
Merkt ihr den Unterschied? So krass wie blind ich war. Wie Schuppen fiel mir diese Erkenntnis vor den Augen.
Familie ist vieles.
Das musste ich erst auf meiner Zunge zergehen lassen. Es ist eigentlich eindeutig und auf der kognitiven Ebene wusste ich es. Der Glaubenssatz steckte jedoch so tief, dass ich das erst über das Gefühl lösen konnte. Das war ein wichtiger Schritt in meine Freiheit. Es fiel mir auf, wie ich mich für meine Familie selbst angekettet hatte. Um sie nicht zu kränken, um sie zu schonen, um sie zu helfen. Es war Zeit mich von meiner Familie zu verabschieden und auch mein eigenen Vater seinen Schicksal zu belassen. Ich kann ihn nicht retten. Ich kann keinen retten. Und ich kann auch nicht allein diese Familie zusammenhalten.

Der Tag kam also in der ich mich äußerte. Bereit die Stränge zu schneiden. Die Struktur zu rütteln. Mich von allem zu befreien. Entweder sie nehmen als freier Vogel, oder sie müssten sich mit meiner langen Abwesenheit abfinden.

Ich war bereit, nicht mehr zurück zu kommen. Ich kann meine eigene Familie gründen. Ja, damit war die Angst verbunden, dass ich sie nicht mehr als Rückhalt hätte, dass ich mich auf sie vielleicht nicht mehr verlassen könnte und dass die Urlaube ohne gutes Essen, Lachen, und gemeinsamen Volleyball am Sonntag verschönt werde. Auf Kosten des Ausdrucks meines Authentischen Selbst? Danke.
Und nun wagte ich den einen Schritt, den ich nie für nötig gehalten hatte. Ich sprach meine Wahrheit und hoffte keinen zu kränken. Es klingt so leicht und simpel, aber versteht, dass ich lange gelernt hatte zu schweigen. Ich hatte Angst. Wovor? Ich denke vor Ablehnung. Doch schlimmer war die Vorstellung, mich weiter verstellen zu müssen. Die Tage die ich hier hab, nicht voll auszukosten.

Reclaim yourself

Ripple Effect

Ich kann mein Vater nicht vom Tod oder ein unerfülltes Witwer-Leben retten. Ich kann meine Nichte nicht vom Trauma retten. Ich kann meine Tante nicht vor Ihrem selbstzerstörerischen Groll, Bitterkeit und Wut retten. Ich kann nur mich selbst retten. Und hiermit benötigte es die Akzeptanz, dass mein Vater unglücklich sterben könne. Dass meine Nichte jahrelang sich verliert und eventuell die schlimmsten Suchterkrankungen leidet. Dass meine Tante durch die Nutzung schwarzer Magie, weiter erkrankt und, viel schlimmer, anderen schadet. Das und vieles mehr…

Es war wirklich nicht leicht. Die „perfekte“ Familie loszulassen.

Und ihr glaub nicht, was für eine Veränderung es gab! Ich gab auf, hinter den Kindern für gemeinsamen Aktivitäten zu rennen. Ich hörte auf Papa täglich anzurufen. Ich hörte auf jeden Tag mit der Familie zu verbringen und tat meine eigenen Sachen. Ich war ich. Ich reiste auch eine Woche alleine in den Dschungel…und als ich zurück kam?

Der Sonntag wurde zum ersten Mal ohne mich veranstaltet. Auch gingen sie, als ich weg war, Fußballspielen. Die Familie blühte auf einer ganz anderen Art auf, auch Sonntags kamen sie nicht nur um mit uns den Sonntag zu verbringen, sondern jeder machte sich ran an einer Aufgabe um den Platz ordentlich zu machen (Volleyballfeld ausmessen, Netz aufbauen, Essen besorgen, etc.). Und ich darf nun teilnehmen und bin dem Druck los, diese Momente jedes Mal zu initiieren.

Es passiert unglaubliches, wenn man loslässt und jedem seinen Schicksal überlässt. Und auch so verkorkst und unperfekt wie diese Familie ist, natürlich weeeeit entfernt von dem was ich als Kind idealisiert hatte, ist es so viel schöner, dass wir uns gegenseitig für das was wir sind akzeptieren und auch abgrenzen können. Wir sind immer noch für einander da, durch dick und dünn. Und ich – ich kann nur für mich sprechen – lebe mein wahres Spirit und mein authentisches Wesen in vollen Farben aus. Dafür war es notwendig, vom vollstem Herzen loszulassen…auch weg zu fliegen.

ich werde nicht verlassen, weil ich mich selbst nicht verlasse.

Hast du auch das Gefühl, dass du stets deine Familie hinterherrennst oder in irgendeiner Weise sie oder die Beziehung versuchst zu retten bzw. helfen? Übe dich im Loslassen. Es muss nicht alles auf einmal sein. Schritt für Schritt. „Take it bird by bird“ (Anne Lamott). Schau dir die Realität an für das was sie ist und akzeptiere sie. Nein, du wirst z.B. vielleicht nicht angerufen. Du wirst vielleicht immer diejenige sein die erst anruft. Vielleicht aber auch nicht. Das muss nicht bedeuten, dass du nichts bedeutest. Das ist deine Interpretation. Lass los. Es ist okay.

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Estrella Piechulek

Liebe, Wahrheit und Weisheit

Es geht vorrangig um dich, deinen Gang und deinen Weg, nicht um das Endziel. Es sind die Schritte und Momente dazwischen, die wirklich zählen. Verliebt im Leben! Millionenfach wurde mein Herz gebrochen, meine Liebe ist umso mehr gewachsen. Ich freue mich, euch in eurem Weg zu inspirieren.

Estrella Piechulek

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